Am 9.11.25 waren wir in Halle aktiv. Im Anschluss an das Wir!-Festival haben wir Zettel mit Zitaten jüdischer Autorinnen und Autoren verteilt und dazu eine kleine Umfrage gemacht. Wir standen eine Stunde lang vor dem Hauptbahnhof, später auf dem Marktplatz. Mit einigen Passant*innen kamen wir dabei in ausführliche Gespräche. Andere hatten es eilig oder wollten unsere Handzettel nicht annehmen.

Die ausgewählten Zitate schienen uns schmerzlich gut zur angespannten politischen und kulturellen Lage im Land zu passen. In der Literatur sind von Heinrich Heine über Kurt Tucholsky, Erich Mühsam oder Klaus Mann bis hin zu Grete Weil und Gerty Spies eine Menge Erfahrungen gespeichert, auch Befürchtungen und Hoffnungen, die uns heute Anstöße geben können, uns für ein freies Leben in einer offenen Gesellschaft zu engagieren.

So in etwa sahen die Zettel aus (Vorder- und Rückseite):

Und das sind die Zitate:

Heinrich Heine

 Ich liebe Deutschland und die Deutschen; aber ich liebe nicht minder die Bewohner des übrigen Teils der Erde, deren Zahl vierzigmal größer ist als die der Deutschen. Die Liebe gibt dem Menschen seinen Wert. Gottlob! ich bin also vierzigmal mehr wert als jene, die sich nicht aus dem Sumpfe der Nationalselbstsucht hervorwinden können und die nur Deutschland und Deutsche lieben.

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Unser Vaterland ist ein gesegnetes Land; es wachsen hier freilich keine Zitronen und keine Goldorangen, auch krüppelt sich der Lorbeer nur mühsam fort auf deutschem Boden, aber faule Äpfel gedeihen bei uns in erfreulichster Fülle, und alle unsere großen Dichter wußten davon ein Lied zu singen.

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Aber das Entsetzliche ist von unserem Vaterlande, durch die Weisheit und Kraft des Frankfurter Bundestages, glücklich abgewendet worden; es wird hoffentlich keine Revolution in Deutschland aus-brechen, vor der Guillotine und allen Schrecknissen der Preßfreiheit sind wir bewahrt, sogar die Deputiertenkammern … werden abgeschafft, und die Kunst ist gerettet. Für die Kunst wird jetzt in Deutschland alles mögliche getan … Die Museen strahlen in sinnreicher Farbenlust, die Orchester rauschen, … mit tausendundeiner Novelle wird das Publikum ergötzt, und es blüht wieder die Theaterkritik.

Kurt Tucholsky

Wer waren unsre Ahnen? / Kaschubische Germanen. / Die zeugten zur Erfrischung / uns Promenadenmischung

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Schön ist Beisammensein. Die Haut friert nicht. Alles ist leise und gut. Das Herz schlägt ruhig.

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Der Deutsche fährt nicht wie andere Menschen. Er fährt, um recht zu haben. Dem Polizisten gegenüber; dem Fußgänger gegenüber, der es übrigens ebenso treibt – und vor allem dem fahrenden Nachbarn gegenüber. Rücksicht nehmen? um die entscheidende Spur nachgeben? auflockern? nett sein, weil das praktischer ist? Na, das wäre ja …

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Es gibt alte Esel und junge Talente – Geburtsscheine sind keine Argumente.

Erich Mühsam

Die immer wiederkehrende Verleumdung der Juden als Christenmörder ist ein fester Bestandteil der Judenverfolgung überhaupt. Der Antisemitismus ist die schimpflichste und gemeinste Bewegung aller Zeiten. Aller Friede und alle Menschenwohlfahrt kann nur er-reicht werden durch die Verbündung der Völker in gemeinsamen Bestrebungen.

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Der Antisemitismus verhindert diese Entwicklung, da er systematisch ein Volk bekämpft, das, zwischen alle Völker verstreut, an der Kultur aller Völker den stärksten Anteil hat. Sein Kampf ist … ein schleichendes Verleumden. Der Antisemitismus ist der ehrloseste Kampf, der je geführt wurde.

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Wie er [der Oberlehrer] seine Frau zur Korrektheit erzog, habe ich auch einmal in Florenz an einem der heißesten Tage … belauscht. Die Dame bestellte in einem Café eine Eisschokolade. Ihr Gatte aber, der ein deutscher Universitätsprofessor, etwa aus Halle an der Saale, gewesen sein muss, belehrte sie: »Das wirst du nicht trinken! Du siehst doch, kein Mensch trinkt Eisschokolade. Das kann man wohl in Rom oder Neapel tun, aber in Florenz doch nicht mehr!« Als ich darauf vernehmlichen Tones Eisschokolade verlangte, warf er mir einen vernichtenden Blick zu.

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Bei Gott ist kein Ding unmöglich. Um das zu beweisen, schuf er den Staat. Das ist ein abstrakter Begriff mit konkreten Fähigkeiten. Ein Abstrakt, das befehlen, verbieten, richten und strafen kann. Ein bis an die Zähne bewaffnetes Abstrakt, dessen treuer Diener zu sein sich der Mensch zur Ehre anrechnet.

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Es ist nicht gleichgültig, wie die ausübende Gewalt eines Staates organisiert ist. Es ist aber nicht notwendig, daß sie immer reaktionär gesinnt ist – ich kann mir sehr wohl denken, daß sie gut republikanisch, antiimperialistisch und demokratisch denkt und doch stramm für Ordnung und Ruhe eintritt – wenns unbedingt sein muß, auch mit Waffengewalt.

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Das Verhör

Sie heißen?, fragte mich der Direktor. / Ich nannte den Namen. / Geboren? / Ja / Wann?, meine ich. / Ich nannte das Datum. / Religion? / Geht sie nichts an. / Schreiben sie also: mosaisch / – Der Beamte schrieb. / Was tun Sie? / Ich dichte. / Wa–s? / Ich trinke. / Delyriker!, schrieb der Beamte …

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Er wurde sehr heftig; bezeichnete die Fascisten ab-wechselnd als „Tiere“, „Teufel“ und „Idioten“ und er-ging sich in den zornigsten Redensarten über jene Intellektuellen, die aus gemeinem Opportunismus mit dem militanten Nationalismus sympathisierten. „Die sollten alle aufgehängt werden!“ rief Hendrik, wobei er sogar auf den Tisch schlug. Der Geheimrat sagte, gleichsam beschwichtigend: „Ja ja – auch ich habe Unannehmlichkeiten gehabt.“

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„Das alles wird gräßlich enden … Es wird das Schlimmste geschehen, denkt an mich, Kinder, wenn es da ist, ich habe es vorausgesehen und vorausgewußt. Diese Zeit ist in Verwesung, sie stinkt … Mich täuscht man nicht. Ich spüre die Katastrophe, die sich vorbereitet. Sie wird beispiellos sein. Sie wird alles verschlingen, und um keinen wird es schade sein, außer um mich. Alles, was steht, wird zerbersten. Es ist morsch. Ich habe es befühlt, geprüft und verworfen. Wenn es stürzt, wird es uns alle begraben. Ihr tut mir leid, Kinder, denn ihr werdet euer Leben nicht leben dürfen. Ich aber habe ein schönes Leben gehabt.“

Klaus Mann (aus „Mephisto“)

So gefährliche Dinge pflegte er sonst in der Kantine nicht auszusprechen, besonders nicht, wenn Kroge in der Nähe war. Heute aber ließ er sich gehen – freilich nicht bis zu dem Grade, daß er gar zu laut gesprochen hätte. Es blieb bei einem heftigen Flüstern.

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Während des ganzen Nachmittags beklagte er den totalen Mangel an Disziplin, der die Epoche so traurig charakterisiere. Dabei ward er nicht müde, auf höchst intensive Art die gleichen Feststellungen und Ausrufe unzählige Male zu wiederholen. Immer wieder versicherte er: »Nirgends Persönlichkeiten! Es gibt nur mich! Mit welcher Sorgfalt ich auch Umschau halte –immer wieder finde ich nur mich!«

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Nun bereute er es, die Eröffnung des Revolutionären Theaters immer wieder hinausgeschoben zu haben. Von Marder aber war er enttäuscht. Dieser unbarmherzige, hellsichtige und gefährliche Kritiker der bourgeoisen Gesellschaft zeigte sich, da man ihm nun von Mensch zu Mensch gegenübersaß, als ein Herr mit bedenklich reaktionären Neigungen … Hatte er nicht mit jenen Figuren, die er in seinen Stücken verhöhnte, viele Eigenschaften gemeinsam? Nun lobte er die gute alte Zeit, in der er jung gewesen und mit der die neue, oberflächliche, verkommene in keinem Punkte sich messen könne.

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Als sie zum letzten Mal im Staatstheater auftrat, spielte sie die Minna von Barnhelm: so deklamierte sie, ehe sie in den Palast des Fliegergenerals übersiedelte, noch einmal die Sätze eines Dichters, den ihr Gemahl und seine Spießgesellen hetzen und verfolgen lassen würden, lebte er heute und hier.